Von RALF SOTSCHECK
Die beiden kleinen Gasöfen kämpfen vergeblich gegen die Kälte an. Sie sind die einzige Heizquellen in dem großen Atelier an der Dubliner Bucht
im Norden der irischen Hauptstadt. Brian McCarthy hat sich einen dicken Wollpullover angezogen. Auf der Staffelei steht ein Ölgemälde, an dem er
gerade arbeitet. Es zeigt John F. Kennedy, der vor der US-Fahne am Rednerpult steht. "Eine Auftragsarbeit", sagt McCarthy.
Der 50-jährige ist in Dublin geboren und hat sein ganzes Leben in der
Stadt verbracht, bis auf sechs Monate in Australien. "Meine Freundin und
ich erwogen in den achtziger Jahren, dorthin auszuwandern, aber nach
einem halben Jahr kehrten wir nach Dublin zurück." Heute sind sie längst
verheiratet und haben zwei erwachsene Kinder.
Besuch vom Premier
McCarthy versucht seit 25 Jahren, von seiner Kunst zu leben. Nebenbei
unterrichtet er. "Wenn das Geschäft gut läuft, reduziere ich meine
Unterrichtsstunden", sagt er. Einmal, 1996 war es, lief es
ausgezeichnet, nachdem der ehemalige Premierminister Charles Haughey,
der später der Korruption überführt wurde, die Ausstellung "Maskerade" eröffnet hatte. "Es war bizarr", sagt McCarthy. "Meine Agentin kannte
die Geliebte von Haughey. Sie verlangte eins meiner Bilder, Haughey
bekam die ewünschte Sorte teurer Schokolade und teuren Wein, und dann
eröffnete er die Ausstellung. Er sprach über mich, obwohl er weder mich,
noch eins meiner Bilder je gesehen hatte. Aber die Presse berichtete
darüber." Sämtliche Gemälde wurden verkauft.
Ende der siebziger Jahre hatte McCarthy die Kunstakademie besucht, war
aber enttäuscht, weil man den Studenten so wenig technische Fähigkeiten
beibrachte. "Wie so viele andere Künstler, so habe auch ich von den
besten Lehrern gelernt - den alten Meistern", sagt er. "Ich habe schon
als Jugendlicher liebend gerne Museen und Galerien besucht und
Kunstbücher gelesen." Auf den durchgebogenen Regalbrettern neben seinem
Schreibtisch stehen Kunstbände, davor ein Radio und ein kleiner
elektrischer Heizlüfter, nicht eingeschaltet, da er ohnehin nichts
ausrichten könnte. Auf dem obersten Brett liegen bunte Clownsmasken und
ein Handy der ersten Generation, das fast so groß wie der Heizlüfter
ist. Auf dem Schreibtisch stehen zwei volle Aschenbecher. "Ich rauche,
seit ich zehn bin", sagt McCarthy.
Er arbeitet ausschließlich mit Ölfarben und produziert etwa 25 Bilder im
Jahr. Zunächst war es "dekorative Kunst", wie er es nennt, nichts
besonders Irisches. Viele der Gemälde, die er nicht verkaufen konnte,
hängen an der langen Atelierwand. Doch mitten im Raum steht ein langer
Tapeziertisch, auf dem die Drucke seiner neuen Arbeiten ausgelegt sind.
Das ist Irland
"Boomtown" heißt das erste Bild dieser Serie. "Es ist kein bestimmter
Ort, aber natürlich ist es Irland", sagt er. "Das sieht man an den
irischen Fahnen, die vor den Häusern hängen. Im Hintergrund ist der von
Pieter Bruegel inspirierte Turm von Babel. Der steht für die
Bauindustrie. Das Bild ist ein Kommentar über den Zustand von Irland und
den Bauboom, der uns das alles eingebrockt hat."
Das nächste Gemälde, "Exodus", hat die Emigration zum Thema: ein kleines
Boot mit einem Kleeblatt, dem irischen Nationalsymbol, am Heck, das auf
einen hell leuchtenden Horizont zusteuert. Die Passagiere tragen irische
Fußball-Jerseys, im Hintergrund ragen bedrohliche Berge auf, die es zu
umschiffen gilt. "Die Idee kam mir, als ich Fotos von den
vietnamesischen Boat People sah, die für ein besseres Leben in See
stechen mussten", sagt McCarthy. "Das trifft auf viele junge Iren zu,
die das Land jetzt verlassen." Zwei weitere Gemälde befassen sich mit
dem Niedergang der Grünen Insel, aber auch mit der Hoffnung auf Widerstand.
Die Bilder sind völlig anders als alles, was McCarthy zuvor gemalt
hatte. Was hat ihn dazu bewogen? "Ich höre mir morgens immer die
Radiosendungen mit Hörerbeteiligung an", sagt er. "Diese Wut der
Anrufer! Die war für mich der Anlass für die Bilder." Die Leute scheinen
sich mit seinen Gefühlen zu identifizieren, weil sie das gleiche fühlen,
glaubt er: "Mir wird kotzübel, wenn ich sehe, was in den oberen Etagen
unserer Gesellschaft vor sich geht."
(c) Brian McCarthys Webseite: www.artinprint.com
Fenster schließen zurück zur Startseite