Ein Handy voller Leben


Zeig mir dein Handy, und ich sage dir, wer du bist. Mein vier Wochen altes Mobiltelefon war auf einer grauenhaften Schiffsfahrt, bei der eine Welle über das Boot schwappte, ertrunken. „Ein Fall für die Garantie“, meinte ich beruhigt und trug das nasse Gerät zum Händler. „Ein Fall für den Mülleimer“, erklärte der Verkäufer. „Wasserschäden sind von der Garantie nicht abgedeckt. Aber schon für 300 Euro gebe ich ihnen ein neues.“

Das bekomme ich bei Ebay billiger, dachte ich mir und ersteigerte dasselbe Modell für hundert Euro. Nach zwei Wochen traf es aus Cottbus ein. Der Speicher war voll. Manuela Vogel, die Verkäuferin, hatte sämtliche Adressen, Kurznachrichten und Fotos im Handy belassen. Sie ist gerade 37 Jahre alt geworden, hat dunkle, kurze Haare und ein wenig Übergewicht. Sie hat einen achtjährigen Sohn mit Grippe, lebt von ihrem Mann Reinhard getrennt und war neulich in einem Safaripark. Dort hat sich Markus, der Sohn, vermutlich die Grippe geholt. Manuelas beste Freundin Anne, eine Blondine mit struppigen Haaren, musste deshalb alleine ins Kino gehen, wofür sie zwar Verständnis hatte, es aber sehr bedauerte. Der Film hat ihr sehr gut gefallen, vor allem wegen der Männer, die es im wirklichen Leben leider nicht gebe.

Um welchen Film es sich handelte, stand leider nicht in der Kurznachricht. Sollte ich Anne anrufen und nachfragen? Ihre Telefonnummer stand ja im Handy-Telefonbuch. Ich könnte mich natürlich auch direkt an Manuela wenden. Möglicherweise würde das aber aufdringlich wirken, doch ich hätte zu gerne gewusst, wie der Film mit den tollen Männern hieß, vielleicht könnte ich ja etwas lernen.

Dann tauchte plötzlich ein Carsten auf. Manuela hatte ihn durch das Internet kennen gelernt und tauschte schmachtende Kurzmitteilungen mit ihm aus. Aber zu einem Treffen ist es nicht gekommen. Der Grund dafür bleibt mir verborgen. die beiden müssen heimlich telefoniert haben, damit ich es nicht erfahre. Jedenfalls hat Carsten inzwischen Cottbus verlassen und hätte Manuela zum Abschied gerne geküsst, wusste aber, dass das niemals geschehen würde. Sie wird ihn dennoch nie vergessen.

Warum lassen Menschen ihr halbes Leben auf einem Handy, wenn sie das Gerät einem Wildfremden verkaufen? Als Manuela per Email nachfragte, ob ich mit dem Telefon zufrieden sei, antwortete ich, dass es tadellos funktioniere und ich hoffe, dass der Sohn die Grippe inzwischen überwunden habe. „Huch“, schrieb sie, „habe ich etwa nicht alles gelöscht?“ Nichts habe sie gelöscht, aber zum Glück sei ich nicht neugierig, log ich.

Als das Handy zum ersten Mal klingelte, war ich unglücklicherweise gerade in einem Pub in der Dubliner Innenstadt. Das Mobiltelefon sang aus vollem Hals die deutsche Nationalhymne. Das hätte ich nach alledem vorher überprüfen sollen. Ich schaltete das Handy hektisch ab und beschloss, den Klingelton vorsichtshalber zu Hause zu verändern. Das war mein Glück. Ich fand nämlich einen Klingelton, den Manuela selbst gemacht hatte. „Muschi ist am Telefon“, krähte das Gerät, „schnell, geh ran, Muschi ist dran!“ Ich begann zu verstehen, warum Carsten aus Cottbus abgereist ist.

 

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