Die irische Elfe


Lobrede auf Ralf Sotscheck, einen Kolumnisten, Nichtraucher und Taxiabbesteller von Rang


Angeblich lebt Ralf Sotscheck in Dublin, und angeblich tut er das als Berichterstatter der taz, deren Irland- und England-Korrespondent er angeblich ist – die Reihenfolge Irland und England klingt sympathisch: stolz und romantisch. Aber ist das, was Ralf Sotscheck über sich verbreitet und verbreiten lässt, auch wahr? Ich fürchte, nein. Als ich ihn im Dubliner Stadtteil Glasnevin besuche, kann und muss ich feststellen, wer dieser Mann wirklich ist.


Ralf Sotscheck ist unzweifelhaft ein Hobbit. Er ist rund, er ist freundlich, und er hat Augen wie der Bär von Bärenmarke. Er ist gesellig, und weil er klug und weise ist, ist er sehr lustig. Er ist der Haushälter seiner Kinder; klaglos lässt er sich scheuchen. Dabei ist er stets gastfrei und großzügig. Er isst und trinkt gern und reichlich, und mit ihm ein westirisches Smokehouse zu besuchen, ist eine Wonne. Denn in einem irischen Smokehouse gibt es eben nicht das, was unsere von genervten Holländern zu Recht verfluchten Kiffköpfe jetzt vielleicht, aus ihrem Dämmer aufhorchend, wähnen: blödes, langweiliges Haschisch. In einem irischen Smokehouse gibt es echte Ware: Fisch und Getier aus irischen Gewässern, Austern und Krebse und Lachs und alles. Plötzlich verliert die gefürchtete britische Küche ihre Schrecken. Was einerseits daran liegt, dass Irland nicht zu Britannien gehört, egal, was die Briten darüber behaupten. Und zum anderen an Ralf Sotscheck, der weiß, wie man authentische kulinarische Schrecken wie etwa schottisches Haggis ebenso kompetent vermeidet wie aufgebrezelte Plätze, in denen junge Fiffis sich mit Dubliner Boomtown-Schischi abfüttern lassen und glauben, das wäre jetzt aber ganz, ganz tolI.


In seinen montäglichen Kolumnen auf der Wahrheit-Seite der taz und auf anderen relevanten Plätzen berichtet Sotscheck über lustige irische Angewohnheiten wie Guinness, Arbeitsvermeidung, radikale Politik und heißen Whiskey mit Nelken. Wann aber schreibt der Mann diese Texte? Wenn er am Computer sitzt, spielt er nachweislich Hearts, und zwar immer. Gäste, die ihn dabei erwischen, müssen zur Sühne sofort einen galligen Kommentar über Tony Blair schreiben. Ich weiß das. Ich war dabei, als ich den Text schrieb.


Den Hauptteil der ihm verbleibenden Zeit widmet der aktive Nichtraucher und Menschenfreund Sotscheck der Verteidigung des Rauchens gegen seine öffentliche Verurteilung. Einem Abhängigen, der mit den verzweifelten Worten „Ich kann nicht mehr! Der Atemweg ist das Ziel!“ schon die Kippen ins Korn werfen wollte, gab Sotscheck neuen Lebensmut und schrieb ihm words of wisdom auf den Rezeptblock: ,,Alle Wege führen zum Atem! Dr. Cohiba.“


Sein eigener Nachtatem klingt nach schönsten Hobbit-Träumen. Wie das Simmern und Blubbern einer frisch durchgelaufenen Kaffeemaschine schnurbelt und sprötzelt das vor sich hin. Was auch am prächtigen Körper liegt: Sotscheck ist Daueranwärter auf den Sieg im jährlichen Book-Fair-Belly-Contest, dem Frankfurter Buchmessen-Bauchwettbewerb. Auf den Spitzen von Sotschecks aristokratisch dezent sprießendem Haupthaar kann man zuweilen feine Schweißtröpfchen glitzern sehen wie kleine Kristalle. Dann sieht er aus wie eine Elfe. Wie eine irische Elfe. Irische Elfen schwirren nicht, irische Elfen haben Gewicht. Und alle heißen sie Stout.


Wenn Ralf Sotscheck sich wieder einmal über Gebühr für die Familie, für Irland und für eine Welt ohne den Seifenverkäufer Tony Blair in Stücke hat hauen lassen, fährt er zur Erholung nach Berlin. Dort reißt er im Sommer für sechs Wochen die Leitung der Berliner taz-Lokalredaktion an sich und wird zum Schrecken aller Autoren. Keiner, der ihm entkäme. Freundlich leuchtet sein Gesicht am Ende des Redaktionsflurs. Freundlich tönt sein sonorer Bariton im Telefonhörer, und wer nicht frühzeitig flieht, hat schon verloren. Beziehungsweise einen Auftrag, obwohl er doch so bitterlich schwor, dem Teufel Sotscheck nie wieder zu Willen zu sein. Es hilft aber alles nichts.


Auch nach Feierabend kümmert sich Sotscheck dann sehr um seine Schutzbefohlenen. Das gemütliche Beisammensein, einst Geheimwaffe der Arbeiterwohlfahrt, entfaltet unter Sotschecks Führung neue Blüte und Pracht. Entsprechend ist Fahnenflucht aus der Gastwirtschaft ein Delikt, das Sotscheck gar nicht erst aufkommen lässt. Es nützt dem Deserteur auf Probe auch gar nichts, ein Taxi zu ordern; Sotscheck findet immer einen Weg, eine solche Bestellung zu stornieren, ohne dass sein Opfer merkt, was gespielt wird. Auf heißen Koffern sitzt der Unglückliche dann da und wartet; der unschuldig anderswo ins Gespräch vertiefte Sotscheck lächelt, das Taxi kommt nicht, und beim dritten Anlauf des Fluchtoptimisten weigert sich der Wirt, nochmals einen Wagen zu rufen – er wolle sich hier doch nicht zum Affen machen. Stumm hockt der Verzweifelte, sicher, niemals mehr nach Hause zu gelangen und von nun an für immer im Lokal ausharren zu müssen. Dann aber zeigt sich Sotscheck als wahrer Menschenfreund. Unter Aufbietung aller Verbindungen zum Wirt gelingt es ihm, doch noch ein Taxi zu beschaffen. Dankbar küsst man ihm die Hände – um Wochen später zu erfahren, wie alles eingefädelt wurde.


Nach dem sechswöchigen heiteren Autorenauswringen in Berlin fährt Sotscheck erfrischt zurück nach Dublin, strahlend und spack. Kaum heimgekehrt, widmet er sich wieder der Menschheitsgeißel Nummer eins, der Nichtraucherei. Um Besucher, die stangenweise Nichtraucherware mitbringen, kümmert sich Sotscheck besonders intensiv. ,,Sie benötigen Hilfe“, sagt, voller Mitgefühl, der Mann, der auf den Schlachtfeldern von Reval und Marlboro mehr Not gelindert hat als jeder andere. Keine Frage, dass ihnen Hilfe zuteil wird, solange ER für sie da ist: Ralf Sotscheck, der Engel von Camelgrad.


Wiglaf Droste

(Raglan Road Singer since 1995)

 

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