Der Häuptling aller Wurstsorten


Essen und Trinken haben in der Weltliteratur schon immer eine bedeutende Rolle gespielt. Das Nierchenfrühstück in James Joyces „Ulysses“, das listige Mahl in Aesops Fabel vom „Fuchs und Storch“, die dicke Kartoffelsuppe mit Speck und Kohl in Guy de Maupassants „Das Glück“ oder der Kräutersalat in Giovanni Boccaccio „Decamerone“ – überall wird gegessen. Aber eine Ode an eine Wurst? Das kann nur einem Schotten einfallen.


„Dein feines Gesicht sei von Glück erhellt“ so beginnt das Gedicht „To A Haggis“ von Robert Burns, „du Häuptling in der Würstewelt! Bist hoch über alle andere gestellt, ob Pansen, ob Darm: Verdienst, dass man dein Lob erzählt, so lang wie mein Arm. Die ächzende Schüssel da füllst du aus, dein Hintern schaut wie ein Bergrücken raus, dein Holzspieß hülf als ´ne Rad-Achse aus, in Zeiten der Not. Und aus deinen Poren tritt Tau heraus, wie Bernstein rot.“


Burns wurde 1759 in Alloway in der schottischen Grafschaft Ayrshire als ältestes von sieben Kindern geboren. Sein Vater war ein armer Pachtbauer, der Wert auf eine gute Ausbildung seiner Kinder legte. Robert lernte Latein, Französisch, Mathematik und Philosophie. Mit 15 schrieb er sein erstes Gedicht. Sein berühmtestes ist „Auld Lang Syne“, das meistgesungene Lied der Welt. Berühmt war er aber auch für seinen immensen Alkoholkonsum und seine Frauengeschichten. Er hatte zwölf Kinder von vier Frauen. Bei dem Lebenswandel wurde er nicht alt: Burns starb im Alter von 37 Jahren. Am Tag seiner Beerdigung, an der 10.000 Menschen teilnahmen, wurde sein jüngster Sohn geboren.


„Wenn Schottland Burns vergisst, dann vergisst die Geschichte Schottland“, warnte der Gelehrte J.S. Blackie im 19. Jahrhundert. Damit das nicht geschieht, feiern Schotten in aller Welt am 25. Januar den Geburtstag des Nationaldichters. Und zur „Burns Night“ gehört nun mal ein Haggis, damit man das Wurstgedicht vortragen kann. Am wichtigsten ist die dritte Strophe: „Sieh, wie der Bauer sein Messer wischt; er schneidet dich auf, wenn aufgetischt, und in dein saftiges Inneres er bricht, dem Pflüger gleich; und dann, o welch gesegnete Sicht, warm-dampfend, reich.“ Mit diesen Worten schlitzt der Rezitator den Haggis auf, „so wie die Schotten es mit den Engländern in der Schlacht bei Bannockburn getan haben“, schrieb der Brigadier Antony Doom 1816. Aber das ist eine andere Geschichte.


Was ist ein Haggis? Er besteht aus Herz, Leber, Lunge, Nierenfett vom Schaf und Zwiebeln, die mit Hafermehl vermischt im Schafsmagen gekocht werden. Er ist also eine kugelförmige Wurst. Dazu werden „tatties and neeps“ gereicht – Kartoffeln und Steckrüben – sowie Unmengen Whisky. Neuerdings gibt es auch eine Veganer-Variante, die Walnüsse, Linsen, Bohnen, Rüben und Karotten enthält. Wann der erste Haggis verzehrt wurde, und woher das Wort stammt, ist nicht bekannt. Gegenüber Engländern behaupten die Schotten gerne, dass der Haggis ein kleines Tier sei, das auf einer Seite längere Beine habe, damit es in den Bergen der schottischen Highlands besser stehen könne. Um einen Haggis zu fangen, treibt man ihn ins flache Land. Dann fällt er um. Es ist erstaunlich, wie viele Engländer das glauben.


Die Jagdsaison ist vom 30. November, wenn die Haggii – das sei der korrekte Plural, behauptet die Zeitung „Scotsman“ – schlüpfen, bis zu Burns´ Geburtstag. Haggis sei „die größte kulinarische Entdeckung, seit Fischer herausfanden, dass man Austern öffnen kann“, schreibt der „Scotsman“.


Wer einen Haggis auf freier Wildbahn sieht, habe den Rest des Jahres Glück, lautet ein schottisches Sprichwort. Deshalb schreibt der „Scotsman“ jedes Jahr einen Wettbewerb aus: „Spot the Haggis.“ Dazu sind zehn Haggis-Kameras in Städten wie Edinburgh und Glasgow sowie auf dem Land aufgestellt. Für die Exilschotten in der Diaspora gibt es eine Kamera in der Londoner Innenstadt und eine auf dem Times Square in New York. Im Internet kann man eine der Kameras anklicken und benötigt dann etwas Geduld. Irgendwann kriecht ein Haggis ins Bild. Dann muss man auf die Schaltfläche „I saw a haggis“ klicken und nimmt an einer Verlosung teil.


Zu gewinnen gibt es keinen Haggis, sondern eine Flasche Balblair Single Highland Malt Scotch Whisky, eine Schafwolldecke oder einen schottischen Wandkalender. Und wer gar einen goldenen Haggis entdeckt, kann ein Luxuswochenende im Gleneagles Hotel in Perthshire gewinnen, wo voriges Jahr der G8-Gipfel stattfand. Im Vorfeld des Gipfels hat US-Präsident George Bush übrigens die Befürchtung geäußert, ihm werde in Gleneagles Haggis gereicht. In die USA darf man die kulinarische Absonderlichkeit nicht einführen. Sie ist laut US-Gesetzen „für den menschlichen Verzehr nicht geeignet“. Der französische Staatspräsident Jacques Chirac findet das auch. In einem Gespräch mit Wladimir Putin und Gerhard Schröder sagte er voriges Jahr, dass „man Leuten nicht trauen kann, die eine so schlechte Küche haben“. Er meinte die Briten und führte als Beispiel Haggis an.


Früher hätte man ihm dafür den Krieg erklärt. „Seht den Landsmann, haggisgenährt, von seinem Schritt tönt zitternd die Erd“, dichtete Robert Burns. „Drückt ihm in die breite Faust ein Schwert, er lässt es tanzen; mit Armen und Beinen er verfährt, wie mit Unkrautpflanzen.“ Allerdings sind auch Schlachten verloren worden, weil der Haggis falsch gekocht wurde, warnte im 19. Jahrhundert Brigadier Antony Doom: „Wenn der Haggis nicht ordnungsgemäß zubereitet wird, wenn er misshandelt oder nicht respektiert wird, wenn er zum Beispiel im Teigmantel oder in siedendem Öl gekocht wird, dann kann der Haggis zum bösen Omen werden.“Heutzutage wird Haggis nicht mehr im Krieg, sondern bei sportlichen Wettkämpfen eingesetzt. Bei den „Highland Games“, der schottischen Olympiade, wird ein Haggis-Weitwurf veranstaltet. Den Weltrekord hält ein Alan Pettigrew seit 1984. Er warf einen anderthalbpfündigen Haggis auf Inchmurrin im Loch Lomond 180 Fuß und zehn Zoll weit. Eine solch unwürdige Behandlung des Haggis´ wäre Burns nicht recht gewesen. „Ihr Mächte, die ihr im Himmel verkehrt, und den Menschen den Speisezettel serviert“, lautet die letzte Strophe seines Gedichts an den Häuptling der Würstewelt. „Ein Schotte hat Fraß noch nie verzehrt, der bloß ein Dreck ist; drum, wünscht ihr, dass er euch verehrt, gebt ihm ´nen Haggis!“


 

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