Nachruf - Wiglaf Droste

Wiglaf Droste

 

Tschüss, Wiglaf

 

Er hat selten jemanden verschont. Wenn Wiglaf Droste in die Tasten griff, blieb kein Auge trocken – bei den geneigten Lesern vor Lachen, bei den Opfern vor Wut. Er geißelte die fast unbemerkt voranschreitende Braunschweigisierung Finnlands, die Lichterkettengänger, die sich öffentlich Spitzennoten für gutes Betragen ausstellen, die „Sportkommentatoren des Satans“, Heribert Faßbender und Dieter Kürten, und nebenbei trat er auch Joan Baez, den Buckelwalen, dem Dalai Lama, Antje Vollmer und den Schlamm-Amöben vors symbolische Schienbein.

 

Wiglafs Heimat war die Sprache, schrieb sein Freund Fritz Eckenga. Es war aber nahezu beängstigend, welche Kette von albtraumartigen Assoziationen ein simples, aber falsches Wort auf einer Getränkekarte bei dem früheren Rettungsschwimmer auslöste: „Antialkoholisches“. Da rotteten sich aufgebrachte Multivitamintrünke, Gemüseextrakte, ein verbitterter Sellerie, anonyme Apfelsäfte und ein bebrillter Zitronensprudel zusammen und stürmten unter Führung einer Flasche Fassbrause Hunderte von Schnapsläden und Gastwirtschaften. Die eindringliche Schilderung ging so tief unter die Haut, dass man unweigerlich zur Whiskeyflasche griff.

 

Wiglaf stand des öfteren wegen Beleidigung vor Gericht. Einmal, an einem Sonnentag im Juli 1999, wollte er eigentlich an die Krumme Lanke zum Baden fahren, als ihn unvorbereitet mein Anruf ereilte. In meiner damaligen Eigenschaft als Leiter der Berlin-Redaktion der taz beschwor ich ihn, mir einen kleinen, fiesen Kommentar zum Soldaten-Gelöbnisbrimborium zu schreiben. Der Text kam früh. Wiglaf ging erstaunlich sanft mit den Soldaten um. Kettenhunde und Waschbrettköpfe? Das klang wie Fischers Fritzen. Umso erstaunter war ich, als ich hörte, dass sich ein Major aus einer ostdeutschen Großstadt beleidigt fühlte und Klage eingereicht hatte. Mörder wollten keine Waschbrettköpfe sein? Der Richter entschied auf Freispruch.

 

Wiglaf konnte, wenn er wollte, mild und poetisch sein, vor allem, wenn es ums Essen ging. Nach einem gemeinsamen Besuch auf der Wielandshöhe bei Vincent Klink schrieb er: „Kann man früh morgens um halb eins schon essen? Und wie. Wir betten unsere Köpfe auf zwei Blätterteigkissen mit Pilz-Tomaten-Füllung, der Sommelier steckt uns Trichter in den Mund und gießt alle paar Minuten ein Schlückchen Champagner hinein. Die Küche entsendet einen weiteren Gruß, Kartoffelpürree mit Speck und gerösteten Zwiebeln. Wir erleben späte Butterfreuden, und das als Männer.“ Der letzte Satz kostete ihn fünf Euro, die er in die Kalauerkasse einzahlen musste.

 

Wiglaf hat ein umfassendes literarisches Werk hinterlassen, das auf jeden Gabentisch der Gehässigkeiten gehört. Aber er fehlt als Sänger und Tournee-Reisender – und vor allem als Freund. Der Tod ist ein Arschloch. Was kann man dazu sagen, außer Wiglaf zu zitieren: „Dieses lehren uns die Schlichten: Freundlich lächeln. Weiterdichten.“

 

RALF SOTSCHECK

 

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