fliegen mit dem terrorenkel – von RALF SOTSCHECK


Eine Flugreise ist wie eine Wundertüte. Wenn man alleine reist, weiß man beim Einchecken nicht, wer neben einem sitzen wird. Eine hübsche Brünette vielleicht, ein interessanter Polarforscher, oder wenigstens ein ruhiger Buchleser? Wahrscheinlich aber jemand mit einer ansteckenden Erkältung oder dem dringenden Bedürfnis, einem die Lebensgeschichte zu erzählen.


Manchmal kommt es noch schlimmer. Die Maschine von Hamburg nach Dublin ist ziemlich voll, aber die beiden Sitze neben mir sind noch frei. Ich sehe das Unglück nahen in Form von Oma, Opa, Tochter und ziemlich neuem Enkel. Ich schicke ein Stoßgebet nach oben: Mögen Oma und Opa sich neben mich setzen. Doch Opa sagt: „Else, bleib du mal bei den Kindern, dann kannst du dich ein bisschen um sie kümmern. Ich setze mich hinten hin.“


Ich will auch nach hinten. „Kommen sie zurück“, rufe ich Opa nach. „Wir können die Plätze tauschen, dann können sie bei ihrer Familie sitzen.“ Er durchschaut mein durchsichtiges Manöver. „Danke, aber ich will keine Umstände machen“, grinst er mich an und verschwindet. Die Mutter mit dem Kleinkind, das antiautoritär erzogen ist, wie ich befürchte, setzt sich neben mich. Wie antiautoritär es tatsächlich erzogen ist, stellt sich schnell heraus.


Es ist verblüffend, wie ausdauernd ein kleines Kind brüllen kann. Entweder hat es Pferdelungen, oder die Mutter ist damals von einem Dudelsack geschwängert worden. An meine Zeitungslektüre ist nicht mehr zu denken. „Hache oche“, brüllt der Terrorist, als die Mutter den Deckel auf die Flasche schrauben will. „Er möchte, dass die Flasche offen bleibt“, interpretiert die Mutter. Er möchte mir den Inhalt über die Hose kippen, will ich einwenden, doch es ist schon zu spät. „Ist ja nur Milch“, beruhigt mich die Mutter. Stimmt. Glühende Lava wäre unangenehmer.


„ Er ist sprachlich schon ziemlich weit für sein Alter“, erklärt die Mutter. Aber stubenrein ist er noch nicht, das riecht man. Meine Befürchtung, dass sie das Kind an Ort und Stelle trockenlegen will, erweist sich als unbegründet. Für wenige Minuten habe ich Ruhe, während es gedämpft aus der Bordtoilette schallt.


Doch schon bald geht der Rabatz weiter. Der Knabe findet Gefallen am Klapptisch, den man hochdrücken und wieder heruntersausen lassen kann. Leider steht der Obstbrei drauf, aber Mutti hat noch mehr davon. Es ist erstaunlich, wie viele Utensilien Mütter mit an Bord nehmen, um die kleinen Racker ruhig zu stellen. Nur an einen Knebel denken sie nie. Kleinkinder ohne Sitzanspruch sollten als Handgepäck gelten und ebenso verstaut werden.


„Uhu lalle“, behauptet das Kind schließlich. „Das Flugzeug landet“, übersetzt die Mutter. „Ist das nicht goldig?“ Dann setzt der Bengel zur Abschiedsgala an. „Wahauhauhauhuahuah“, dröhnt es eine Minute lang aus dem goldigen Knaben. „Was er damit wohl meint“, rätselt die Mutter. „Ihr Sohn findet, die Wahrscheinlichkeit, dass ein bestimmtes Ereignis eintrete, sei umgekehrt proportional zu seiner Erwünschtheit“, sage ich und ernte eisiges Schweigen. Okay, das hat er wohl nicht gemeint. Obwohl er damit den Verlauf meines Fluges akkurat beschrieben hätte. Murphys Gesetz.

 

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