stofffroschalarm – von RALF SOTSCHECK


Plötzlich wurde sie blass und wühlte in ihrer Handtasche. Dann rief sie: „Der Frosch ist weg!“ Caroline Rothenburg und ich hatten am Vorabend gemeinsam eine Lesung in Ostwestfalen bestritten, und nun saßen wir im Zug nach Berlin. Seit 14 Jahren begleitet ein Stofffrosch die drei Mal so alte Caroline auf ihren Reisen. „Er liegt vermutlich noch im Bett“, sagte sie mit Panik in der Stimme. „Ich muss das Hotel verständigen.“

Es war nicht einfach, der Frau an der Rezeption die Dringlichkeit der Situation klarzumachen. „Jawohl, ein Stofffrosch“, schrie Caroline ins Handy, „er hört auf den Namen Mustafa.“ Und zu mir gewandt fügte sie vorsorglich hinzu: „Das ist nicht lustig. Jedenfalls im Augenblick noch nicht. Vielleicht, wenn Mustafa in Sicherheit ist.“

Die Hotelempfangsdame versprach, zurückzurufen, sobald das Tier gefunden war. Caroline malte sich in der Zwischenzeit ein Schreckensszenario aus. „Womöglich ist er in die Wäsche geraten und wird gekocht“, sagte sie leise. „Das wäre ihm vor zwölf Jahren beinahe in Bristol passiert.“ Das wundere mich nicht, sagte ich, die Engländer kochen wirklich alles und übergiessen es obendrein mit Pfefferminzsoße. Caroline achtete nicht auf meine Zwischenbemerkung, sondern erzählte weiter.

Auch damals war der Stofffrosch im Bett geblieben, und als Caroline den Verlust bemerkte, waren die Betten schon abgezogen. Sie hastete auf den Gängen herum, bis sie eine ältere Hotelangestellte fand. „A little green frog“, sagte sie und zog eine Augenbraue hoch, wie es nur Engländerinnen können, sprang dann aber beherzt in einen gigantischen Wäschekorb, in dem sich das Bettzeug der gesamten Etage befand. Nachdem sie vier Mal hinabgetaucht war, kam sie schließlich mit dem Frosch wieder hoch. „Da hast du Glück gehabt“, sagte ich, „wäre das in Frankreich passiert, hätten ihm wahrscheinlich die Beine gefehlt.“

Caroline ignorierte abermals meine Bemerkung und sprach weiter. „Mustafa ist Fan von 1860 München, den Löwen“, sagte sie. „Er wollte eben auch einmal ein Löwe sein.“ Carolines Eltern, also praktisch die Großeltern des Stofffroschs, haben ihm vergangene Weihnachten einen selbstgestrickten Schal in den blau-weißen Vereinsfarben von 1860 München geschenkt. „Es war das erste Mal, dass er etwas geschenkt bekommen hat“, sagte Caroline, „und seit er den Schal trug, verlor 1860 kein Spiel mehr.“

Das führte allerdings zum Konflikt, denn Caroline ist Anhängerin von Eintracht Frankfurt, dem Aufstiegskonkurrenten der Löwen. „Ich habe ihm an den letzten Spieltagen den Schal nicht mehr umgebunden“, sagte sie, „und prompt hat 1860 verloren. Ich kam mir etwas schäbig vor.“ Zum letzten Spiel, bei dem Eintracht Frankfurt den Aufstieg in die Bundesliga feierte, nahm sie Mustafa nicht mit. „Ich wollte ihm die Demütigung ersparen“, sagte sie, „und nun wird er in der Hotelwäscherei gar gekocht.“

Im selben Augenblick klingelte Carolines Handy. Es war die Frau vom Hotelempfang. „Das Tier sitzt jetzt neben mir“, sagte sie, „wir schicken es ihnen zu.“ Aber bitte per Einschreiben, rief Caroline in den Hörer und holte dann eine Flasche Sekt aus dem Bordrestaurant.

 

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