Willkommen im O´Bama-Land

Aus Moneygall Ralf Sotscheck : Auf der Straße, der einzigen im Dorf, ist kein Mensch zusehen. Es ist kalt, obwohl die Sonne scheint. An den drei Zapfsäulen am Straßenrand hat schon lange niemand mehr getankt, sie sind verrostet, die Schläuche sind abgeschnitten. Nur die Fußgängerampel ist modern, und sie ist auch nötig, denn Moneygall liegt an der N7, der irischen Nationalstraße von Dublin nach Limerick in der Grafschaft Offaly. Tag und Nacht herrscht reger Verkehr, doch kaum ein Auto hält in der Ortschaft an, denn dafür gibt es keinen Grund. Und bald, wenn die Autobahn fertiggestellt ist, wird es auch keinen Durchgangsverkehr mehr geben. Am Ortsrand, neben der Neubausiedlung, bauen sie schon einen Autobahnzubringer.


Im Dorfzentrum hängt an einem Torbogen, der zu Stallungen führt, ein grünes Schild mit gelber Schrift: „Papillon, Gewinner des Grand National in Aintree.“ Das Pferd, das das berühmteste Rennen der Welt als großer Außenseiter im Jahr 2000 gewann, hat Moneygall zumindest unter Pferdenarren vorübergehend bekannt gemacht. Nun will das Dorf mit seinen 298 Einwohnern international berühmt werden – als Heimatort des nächsten US-Präsidenten.


„Es fing mit einer Email an“, sagt Stephen Neill, der protestantische Pfarrer, der für die Gegend zuständig ist. „Der Genealoge Kyle Betit aus den USA bat mich um Hilfe, aber weil ich ständig solche Anfragen bekomme, ignorierte ich die Mail zunächst.“ Doch Betit war hartnäckig und rief Neill an. Als der erfuhr, dass es um Barack Obama geht, wurde er hellhörig. Er durchstöberte wochenlang Kirchendokumente und stieß schließlich auf einen Fulmuth – bisweilen auch Falmouth geschrieben – Kearney. „Dieser Kearney ist in Moneygall aufgewachsen“, sagt Neill. „Sein Vater war Schuhmacher. Mitte des 19. Jahrhunderts herrschte in Irland eine furchtbare Hungersnot. So wanderte Fulmuth am 20. März 1850 an Bord der S.S. Marmion nach Amerika aus, er war damals 19. Er ließ sich in Ohio nieder und hatte mit seiner Frau acht Kinder. Eine der Töchter, Mary Ann, heiratete Jacob Dunham 1890 in Kansas. Deren Sohn Ralph Dunham hatte einen Sohn, Stanley Dunham, der wiederum eine Tochter hatte: Ann Dunham. Die heiratete einen Kenianer, der in Hawaii studierte und Barack Obama Senior hieß. Deren Sohn, der US-Präsidentschaftskandidat, ist also der Ur-Ur-Urenkel von Fulmuth Kearney aus Moneygall.“ Nun nennen sie ihn O´Bama in Irland.


Stephen Neill, ein großer, rundlicher 39-jähriger mit breitem, schwarzen Brillengestell, hatte Glück bei seiner Ahnenforschung, denn viele Gemeinden haben im Laufe der Jahrhunderte ihre Unterlagen verloren, und beim Brand im Dubliner Gerichtshof gingen 1922 viele Dokumente in Flammen auf. „Es war ein komischer Zufall“, sagt Neill. „Die Kirche, in der ich die Unterlagen von Obamas Vorfahren fand, steht in Templeharry, einem Nachbarort von Moneygall. Dort war mein Urgroßvater Pfarrer.“

Neill gehört einer „klerikalen Mafia“ an, wie er sagt, er ist protestantischer Pfarrer in der fünften Generation. Er kam vor zehn Jahren nach Moneygall, zuvor war er Hilfspfarrer in Limerick. Neill hat die Dokumente über Obamas Vorfahren an dessen Wahlkampfteam gefaxt, aber bisher keine Reaktion darauf bekommen. „Vielleicht sind die Iren nicht mehr so einflussreich in den USA“, vermutet er.


Dabei haben 21 US-Präsidenten irische Wurzeln, von Washington und Jackson über Roosevelt und Kennedy bis hin zu Nixon, Reagan, Clinton und den Bushs. Kennedy war der erste, der aus seinen Ahnen Kapital schlagen wollte. Bei seiner Irlandreise 1963, mit der er sich die Wahlstimmen der US-Iren zu sichern hoffte, war fast die gesamte Bevölkerung auf der Straße und jubelte ihm zu. Auch Obama wird irgendwann nach Moneygall kommen, da ist sich Neill sicher. Vielleicht werde er einen Abstecher nach einem Staatsbesuch in London machen.


„Ein anderer US-Präsident kommt regelmäßig in unsere Gegend“, sagt Neill. „Josiah Bartlett besucht jedes Jahr Borisokane, das auch zu meiner Gemeinde gehört. In Wirklichkeit heißt er Martin Sheen. Er hat den US-Präsidenten im Film West Wing gespielt. Seine Mutter lebt in Borisokane.“


In Moneygall bereiten sie sich auf den echten Präsidenten vor, denn dass er morgen gewählt wird, steht für die Dörfler außer Frage. Neben den Ortsschildern an beiden Enden des Dorfes haben sie Hinweistafeln angebracht, auf denen steht: „Willkommen im Obamaland.“ Die beiden Kneipen im Ort, J. Hayes Bar und Ollie Hayes, gehören Mitgliedern derselben Familie. Bei Ollie Hayes tritt morgen die Band „Hardy Drew and the Nancy Boys“ aus Limerick auf, die aus den Brüdern Ger, Brian und Donnacha Corrigan besteht. Sie haben einen Hit mit ihrem Lied „There´s No One As Irish As Barack O´Bama“ gelandet (www.hardydrew.com), das sie zur Amtseinführungsfeier am 19. Januar nächsten Jahres in Washington vortragen dürfen.


Die meisten Einwohner werden die Live-Übertragung der langen Wahlnacht in dem Pub verfolgen. „Um halb zehn geht es los“, sagt Henry Healey. „Die Sperrstunde ist aufgehoben, wenn auch nicht offiziell. Aber es wird niemand den Zapfenstreich kontrollieren.“ Healey, der Buchhalter, ist um mehrere Ecken mit Obama verwandt. „Er ist mein entfernter Cousin“, sagt der 24-jährige, ein dünner Mann mit kurzen Haaren und langen Koteletten. „Es wäre großartig, wenn er die Wahl gewinnt, und nicht nur, weil er mit mir verwandt ist. Es wäre auch für das Dorf sehr gut.“ Healey glaubt, dass es den Tourismus ankurbeln könnte, wodurch sich auch die Infrastruktur verbessern würde. „Wir haben ja nicht mal ein Café für die Touristen“, sagt er, „von einem Supermarkt ganz zu schweigen. Die Leute müssen zum Einkaufen in die Stadt.“


Aber es gibt fünf kleine Geschäfte, in denen man Grundnahrungsmittel bekommt. Eins davon liegt schräg gegenüber von Ollie Hayes. Der Laden heißt ebenfalls Hayes. Dort scheint die Zeit in den fünfziger Jahren stehen geblieben zu sein. Auf ein paar Regalen stehen einige Pappkartons mit Süßigkeiten, hinter dem Tresen liegen Schulutensilien neben Brot und Tomaten, daneben eine Truhe mit Eiscreme. Der alte George Hayes ist aufgeregt. „Es sieht gut aus für Obama“, sagt er und nuschelt dabei. „Ich wäre überrascht, wenn er es nicht schafft. Aber ich habe große Angst, dass er erschossen wird.“ Seine Nachbarin, so erzählt Hayes, sei zunächst für Hilary Clinton gewesen, wie viele Frauen im Ort. „Aber seit die Verbindung mit Moneygall herausgekommen ist, stehen wir geschlossen hinter Obama“, sagt er.


Etwas weiter, kurz vor der Fußgängerampel, ist an der Giebelwand eines recht hässlichen, blassgelben Hauses ein deutsches Straßenschild angebracht: „Schongauerstr.“ steht darauf in weißer Schrift auf blauem Grund. „Der Bruder des Besitzers lebt in Deutschland“, sagt Hayes. „Er hat ihm das Schild mitgebracht.“ Gegenüber liegt ein Haus, das von der Straße etwas zurückgebaut ist. Lediglich die nachträglich eingebauten Fenster, die dem gotischen Stil nachempfunden sind, weisen darauf hin, dass es sich um einen religiösen Bau handelt. Es sei eine „Chapel of Ease“, eine Art Tochterkirche, sagt Neill. „Es ist keine richtige Kirche. Weil es aber nicht so viele protestantische Kirchen gibt, dienen diese Chapels denjenigen als Gebetshäuser, für die es zu umständlich ist, in eine richtige Kirche zu gehen.“ 88 Prozent der Iren sind katholisch, und gerade mal ein Prozent ist schwarz. „Deshalb ist Obamas irisch-anglikanische Verbindung recht ungewöhnlich“, sagt Neill. Früher, zu Fulmuth Kearneys Zeiten, war die Hilfskirche eine Schule. „Fulmuth ist dort eingeschult worden“, sagt Neill.


Er drückt Obama fest die Daumen. „So viele irische Auswanderer sind in Amerika unter die Räder gekommen“, sagt er. „Es ist deshalb besonders schön, dass einer wie Obama es zu etwas gebracht hat.“

 

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