Sie rennen um ihr Leben


Ralf Sotscheck - Sie rennen um ihr Leben

Aus Fanore RALF SOTSCHECK


Die Hunde sind außer Rand und Band. Sie rennen aufgeregt auf der Wiese herum und springen immer wieder an ihrem Herrchen hoch. Der haut ihnen ab und zu auf die lange Nase, um sie zur Raison zu bringen, aber das funktioniert nicht.

 

Das Herrchen heißt Pat O’Donohue. Er ist 39 Jahre alt und stammt aus Fanore, einem kleinen Dorf an der irischen Westküste. Mit 18 wanderte er nach Kanada aus und arbeitete dort in einem Irish Pub. In Kanada lernte er die Mexikanerin Patricia kennen, die beiden heirateten, zogen nach Fanore und übernahmen das Wirtshaus von Pats Eltern.

 

„Ich suchte nach einem Hobby“, sagt Pat, und weil Windhunde billiger als Pferde sind, legte er sich ein paar zu. Das war vor15 Jahren. „Damals riet mir ein erfahrener Züchter, nur zwei Hunde anzuschaffen – einen für jede Hand“, sagt Pat. „Ich habe nicht auf ihn gehört.“ Schon bald hatte er 30 Hunde.

 

Er züchtet sie, gibt sie dann einem Freund, der sie trainiert und für Rennen fit macht. Den Gewinn, wenn es denn einen gibt, teilen sie sich. Aber Pat muss auch das Deckgeld und das Futter bezahlen. Da bleibt nichts übrig, im Gegenteil. „Es ist eben ein Hobby“, sagt er. „Ich liebe es.

 

Doch der Brexit bedroht sein Hobby. Die meisten irischen Hunde werden nach England exportiert, rund 7.000 Tiere im Jahr. 85 Prozent der Windhunde, die auf englischen Hunderennbahnen einem Plastikhasen hinterherhetzen, stammen aus Irland. Aber auf der Grünen Insel werden rund 16.000 Welpen jedes Jahr geboren.

 

Was geschieht mit dem Überschuss? Dieser Frage ist das irische Fernsehen RTÉ mit versteckter Kamera nachgegangen. Die Dokumentation, die im Juni ausgestrahlt wurde, hat erhebliches Aufsehen erregt. Conor Ryan zeigt in seinem Film, dass die Hunde mit Drogen vollgepumpt werden, und wenn sie trotzdem zu langsam sind, werden sie getötet. Mehr als 6.000 Hunde im Jahr ereilt dieses Schicksal.

 

Windhunde gelten juristisch nicht als Hunde, sondern als landwirtschftliche Nutztiere. Deshalb ist das Landwirtschaftsministerium für sie zuständig. Um einen Windhund legal einschläfern zu lassen, muss man 80 Euro zahlen. Aber es gibt genügend Abdecker, die den Job heimlich für zehn oder zwanzig Euro erledigen. Den Hunden werden vorher die Ohren abgeschnitten oder mit Säure verätzt, damit man die Besitzer nicht anhand der eintätowierten Nummer identifizieren kann. Und zahlreiche Hunde werden illegal über England nach China exportiert, wo sie manchmal lebendig in siedendem Öl gekocht werden. Auch das ist in Ryans Film zu sehen.

 

Die Dokumentation hat großen Schaden für die Windhundindustrie angerichtet. Drei Unternehmen – Barry’s Tea, FBD Insurance und der Tierfutterhersteller Connolly’s Red Mills – haben ihre Sponsorenverträge fristlos gekündigt. Tierschutzvebände fordern, dass die staatlichen Subventionen für Windhunde in Höhe von 16,8 Millionen Pfund im Jahr eingestellt werden.

 

„Seit sie die Dokumentation gesehen hat, will meine Mutter, dass ich meine Hunde verkaufe“, sagt Pat O’Donohue, „denn mit solchen Macheschaften will man nichts zu tun haben. Aber schwarze Schafe gibt es doch überall.“ Die meisten Hunde hat er bereits vor der Ausstrahlung des Films verkauft. „Wenn der Brexit kommt, ist der englische Markt für irische Hunde erstmal zu“, sagt er. Lediglich sechs Hunde hat er behalten, und demnächst will er vier davon verkaufen. „Das reicht, wenn man es als Hobby betreibt.“

 

Windhundrennen gibt es in Irland seit 1927. Zunächst stiegen die Besucherzahlen stetig. Wo Geld im Spiel ist, muss auch ein Verband her: Bord na gCon, der irische Windhundverband, wurde 1958 gegründet und kassiert seither von jeder Wette einen Anteil. Und der war lange Zeit stattlich: Noch Anfang der achtziger Jahre gingen über eine Million Besucher im Jahr zu den Rennen. 1990 war es gerade noch die Hälfte. Heute kommen im Schnitt nur noch 330 Menschen. Und auch die Zahl der aktiven Windhundbesitzer ist in den letzten zehn Jahren um die Hälfte zurückgegangen.

 

Irland ist eins von acht Ländern, wo überhaupt noch Windhundrennen stattfinden. Von den huundert Stadien in den fünfziger Jahren sind nur noch 16 übrig. Bord na gCon versucht, junge Leute zu interessieren, hat damit jedoch kaum Erfolg. Außerdem veranstaltet man neuerdings Rennen morgens um 8 Uhr. Zu denen kommen zwar keine zehn Zuschauer, aber es geht dabei um das asiatische Wettgeschäft.

 

Gerard Dollard, der Geschäftsführer von Bord na gCon, sagt, der Sterling-Währungsverfall im Zuge des Brexit habe erhebliche Folgen für die irischen Züchter. „Die Windhund-Industrie ist jährlich rund 300 Millionen Euro wert“, sagt er. „Wir müssen unbedingt dafür sorgen, dass es so wenig Bürokratie wie möglich nach dem Brexit gibt. Insbesondere geht es uns um die Ausfuhr der Windhunde nach Großbritannien, denn das ist eine wichtige Einnahmequelle für Züchter.“

 

Schon seit den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts sind Windhunde von Irland nach England exportiert worden. Der berühmteste war Master McGrath, der drei Mal den Waterloo Cup gewann. Statuen des Hundes stehen im nordirischen Lurgan und in seiner Geburtsstadt Dungarvan, und es gibt ein Volkslied zu seinen Ehren. Jeder Besitzer träumt von einem Master McGrath, denn ein berühmter Sieger konnte zumindest früher als Deckhund bis zu einer Million Euro einbringen.

 

Beim Waterloo Cup ging es jedoch nicht um Geschwindigkeit, sondern um die Hatz auf einen lebendigen Hasen. In Großbritannien ist das inzwischen verboten. Irland hingegen ist eins von drei Ländern, wo es noch erlaubt ist. Allerdings müssen die Hunde einen Maulkorb tragen.

 

Das größte Ereignis dieser Art findet in Clonmel in der Grafschaft Tipperary statt. Jedes Jahr kommen 10.000 Zuschauer, und der Veranstalter behauptet, dass es der lokalen Wirtschaft bis zu 16 Millionen Euro einbringt. Die 70 „Coursing Clubs“, die für die Hasenhatz zuständig sind, organisieren rund 80 Veranstaltungen im Jahr. Hinzu kommen illegale Veranstaltungen, zum Beispiel auf Whiddy Island, einer kleinen Insel vor der Südküste, bei der auch der Vorstand von Bord na gCon nicht fehlt, wie die versteckte Kamera von RTÉ gezeigt hat.

 

Der Brexit ist nicht die einzige Gefahr für Irlands Hundezüchter, Windhundrennen sind in England im Niedergang. Allein in London gab es früher 33 Stadien, davon ist kein einziges mehr übrig. Das berühmte Derby wurde früher in Walthamstow, der bekanntesten Londoner Rennbahn, ausgetragen. Alexander Hesketh, ein Erblord, dessen Sitz im Oberhaus 1999 abgeschafft wurde, hat das Rennen in sein Stadion in Towcester, gesprochen „Toaster“, geholt. Er ist 2011 von den Tories zu Ukip gewechselt und ist begeisterter Verfechter des Brexit. Der aber gefährdet sein Hobby

 

Hesketh will Windhundrennen modernisieren und sie weltweit wieder populär machen. Jeder Hundebesitzer, der sein Tier in Towcester an den Start schickt, muss 200 Pfund bezahlen. Hesketh verdoppelt den Betrag. Das Geld kommt in einen Pensionsfonds für ausgemusterte Windhunde. Hesketh will einen „Towcester Standard“ veröffentlichen, der das Wohlergehen der Tiere garantieren soll.

 

In Irland will der Staat für eine Hunderentenkasse sorgen. Von den 16,8 Millionen Euro Subventionen werden bisher lediglich 400.000 für ausgemusterte Hunde zur Seite gelegt. Künftig sollen es zehn Prozent sein. Ob das in Anbetracht des Brexit reicht, ist zu bezweifeln. Wenn die Hunde nicht mehr so einfach nach England exportiert werden können, gibt es einen noch größeren Hundeüberschuss und noch mehr leidende Tiere.

 

Pat O’Donohues Hunden geht es hingegen gut, sie toben auf der Wiese hinter dem Biergarten des Pubs. Pats und Patricias vier Kinder – zwei Jungen und zwei Mädchen zwischen vier und vierzehn Jahren – interessieren sich nicht für die Hunde. „Wenn der Brexit nicht wäre, hätte ich meine Hunde nicht verkauft“, sagt Pat.

 

John Fitzgerald von der Kampagne zur Abschaffung grausamer Sportarten freut sich dagegen auf den Brexit: „Ich frage mich, ob es nicht einen Silberstreif am dunklen Horizont für Irland gibt. Vielleicht nicht für die Menschen, aber wahrscheinlich für die Hunde, die so furchtbar leiden müssen.“ Der freie Verkehr von Hunden zwischen beiden Ländern könnte nach dem Brexit erheblich eingeschränkt werden, hofft er.

 

„Außer Großbritannien gibt es praktisch keine Exportmärkte, abgesehen von dem zwielichtigen Schmuggel in ferne Länder, wo auf die Hunde ein noch schlimmeres Ende wartet“, sagt er. „Ich teile zwar die Angst vor den wirtschaftlichen Folgen des Brexit, aber ich begrüße jede Entwicklung, die das Ende dieser grausamen Industrie beschleunigt. Das wäre auch der Todesstoß für die Hasenhatz. So könnte der Brexit nicht nur die Rettung für die Windhunde, sondern auch für den irischen Hasen bedeuten.“

 

 

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